„Milch macht müde Männer munter!“ Was ist dran an dem Werbeslogan aus den 50er Jahren? Warum vertragen nur 35 Prozent der Menschheit Milch? Was ist ESL-Milch? Und wie hat sich die Welt der Milchbauern und Molkereien in den letzten Jahrzehnten verändert? Gehen wir dem „weißen Gold“ auf den Grund…

„Milch und Brot macht Wangen rot!“ Das war nicht immer so, denn die Menschen im Neolithikum wurden vermutlich eher blass vor Übelkeit, wenn sie Milch tranken: Unsere Vorfahren litten allesamt unter Laktoseintoleranz! Nur Säuglinge konnten die Milch verdauen, mit zunehmendem Alter ging diese Fähigkeit verloren. Heute vertragen 35 Prozent der Menschheit Milch. Wie ist es dazu gekommen?

Gen-Mutation

Vor etwa 7.500 Jahren hat eine Gen-Mutation dazu geführt, dass das Enzym Laktase auch über das Säuglingsalter hinaus seine Arbeit erledigt, den Milchzucker spaltet und ihn somit für den menschliche Organismus verwertbar macht. Diese kleine Veränderung im Erbgut verlieh den Menschen einen evolutionären Vorteil und ist heute der Grund dafür, dass der Europäer Milch sehr gut verträgt, der Afrikaner oder der Chinese jedoch größtenteils nicht.

Vitaminbombe Milch

Vergleicht man die Inhaltsstoffe, kommt man nicht um den Gedanken herum: Die Milch macht’s! Milch enthält eine Vielzahl von Vitaminen, zahlreiche Mineralstoffe und das hochwertige Milcheiweiß. Bereits eine tägliche Aufnahme von 0,5 Liter kann den Bedarf an fast allen essentiellen Aminosäuren decken. Auch Calcium, das ein bedeutender Baustein für Knochen und Zähne ist, ist in rauen Mengen enthalten: Mit 0,5 Litern Milch kann der tägliche Bedarf bereits zu zwei Drittel gedeckt werden. Das Gesundheitsministerium rät daher, drei Portionen Milch und Milchprodukte täglich zu verzehren. Ideal seien zwei Portionen Milch, Joghurt, Buttermilch oder Hüttenkäse und eine Portion Käse.

Ist Milch ungesund?

Eine steigende Zahl bei Milchunverträglichkeiten liefert zunehmend Diskussionsstoff. Von manchen Seiten wird die Milch pauschal als ungesund abgestempelt. „Laktoseintoleranz“ wird dabei oft als Sammelbegriff für sämtliche Leiden verwendet. Nicht verwechseln darf man jedoch die primäre Laktoseintoleranz, die genetisch bedingt ist, die sekundäre Laktoseintoleranz, die durch Schädigung des Dünndarmepithels entsteht und reversibel ist, und die Milchallergie. Bei der Milchallergie bekämpft der Körper bestimmte Eiweiße der Milch. Etwa ein Prozent der Europäer soll unter einer Milchallergie leiden. Dr. Thomas Rau, Direktor der Paracelsus-Klinik in der Schweiz, vermutet einen viel höheren Wert. Für ihn birgt die Tatsache, dass heutzutage ein Liter Milch aus Milch von zehntausenden Kühen besteht, eine Gefahr für unser Immunsystem, die Allergien hervorrufen kann. Er spricht von einer „Lawine an immunologischer Information, die auf unsere kleinen Kinder niederprasselt“. Ist das etwa ein Beweis dafür, dass die kleinstrukturierte Molkereiwirtschaft und in der Folge eine kleinstrukturierte Landwirtschaft gesünder ist? Doch noch sind liberale Bauernvertreter der Meinung, dass Wachstum die einzige Lösung sei, denn nur so könne am Weltmarkt mitgeschwommen werden.

Große Umbrüche in der Milchindustrie

Im letzten Jahrhundert ist in der Milchwirtschaft kein Stein auf dem anderen geblieben: Die durchschnittliche Milchleistung einer deutschen Kuh ist von 1.900 bis 2017 von 2.165 kg/Jahr auf 7.780 kg/Jahr gestiegen! Eine österreichische Milchkuh gibt durchschnittlich 6.865 kg Milch pro Jahr. Die Zahl der Milchbauern in Österreich hat sich seit den 80er Jahren um mehr als 77 % reduziert (Deutschland: – 85 Prozent seit 1980). Den Molkereien erging es nicht anders. In den 50er Jahren gab es in Deutschland noch 3.401 Molkereien, bis heute hat sich die Zahl auf 204 Betriebe reduziert (Betriebe mit mind. 20 Beschäftigten). Die größte deutsche Molkereigenossenschaft ist die „Deutsches Milchkontor GmbH“ (DMG Group), die rund 8 Mrd. kg Milch/Jahr verarbeitet. Das entspricht etwa der Milchmenge, die in Österreich in Summe in zwei Jahren produziert wird! Europas größte Molkerei ist die französische „Groupe Lactalis“ (19,6 Mrd. kg Milch/Jahr). In Österreich gibt es insgesamt 86 Molkereien (Grüner Bericht 2017), wobei der Großteil unter der Herrschaft von Raiffeisen steht. „Berglandmilch“ ist hierzulande mit Abstand die größte Molkerei, sie verarbeitete 2017 etwa 1,3 Mrd. kg Milch, etwa gleich viel wie in ganz OÖ, dem größten Milch-Bundesland, pro Jahr produziert wird

Was ist ESL-Milch?

Und schließlich hat sich auch in der Verarbeitungstechnik eine Innovation still und heimlich breit gemacht: Die „Länger frisch“-Milch oder ESL-Milch (Extended Shelf Life = „verlängertes Regal-Leben“). Durch Erhitzen auf 125-140°C, viel höher als beim Pasteurisieren (72°C), kann die Haltbarkeit auf bis zu 27 Tage verlängert werden. Durch die hohe Hitzebehandlung kann es zur Zerstörung der Milcheiweiße, essentiellen Aminosäuren und Vitaminen kommen. Nach dem Öffnen der Verpackung ist ESL-Milch jedoch, genauso wie pasteurisierte Frischmilch, nur einige Tage haltbar. Schnell wird klar, dass sie in erster Linie ein Segen für den Handel und die Logistik ist, der auf Kosten des Inhalts geht. Obwohl diese neue Errungenschaft bereits die Frischmilch verdrängt, ist der Begriff ESL-Milch auf EU-Ebene nicht definiert. Der Hausverstand fragt sich jedenfalls, wie es sein kann, dass eine Milch, die bis zu 27 Tagen haltbar ist, mit dem Wort „frisch“ beworben werden darf.

Dieser Artikel erschien in der Printausgabe 09/10 2018 vom 02.11.2018