Was kommt beim Landwirt tatsächlich vom Verkaufspreis an?

Die Lebensmittelpreise steigen von Jahr zu Jahr – gleichzeitig sinken die Erzeugerpreise für die Bauern:
Auf der einen Seite muss der Konsument für Lebensmittel zunehmend tiefer in die Tasche greifen, auf der anderen Seite sinkt der Anteil an den Verkaufserlösen für die Erzeuger stetig, obwohl die Anforderungen an die Landwirtschaft steigen. Was läuft falsch?
Da die Ausgleichszahlungen für die Landwirtschaft durchschnittlich etwa zwei Drittel des Einkommens der Bauern ausmachen, werfen wir zuerst einen Blick auf die Entwicklung der Höhe dieser Zahlung. Seit dem EU-Beitritt steht unsere Landwirtschaft in direkter Konkurrenz mit Ländern, in denen Umwelt-, Klima- und Tierschutzstandards, als auch Sozialstandards eine untergeordnete Rolle spielen. Wenn Länder mit verschiedenen Standards und Produktionskosten am freien Markt, ohne Zollschutz, produzieren, verschiebt sich die Produktion über kurz oder lang in jene Länder, die am billigsten produzieren. Die Ausgleichszahlungen sollten die heimische Landwirtschaft seit dem EU-Beitritt davor schützen, doch die Entwicklung des Agrarbudgets lässt daran zweifeln. Nach den Verhandlungen zum Agrarbudget 2021-2027 sagte Ministerin Köstinger vor einem Jahr: „Die harten Verhandlungen um das EU Budget bringen ein exzellentes Ergebnis für Österreich.“ Die Bauern könnten aufatmen und „damit werden wir auch in Zukunft flächendeckende Landwirtschaft in Österreich möglich machen.“ Tatsächlich haben sich die „Förderungen“ für die österreichische Land- und Forstwirtschaft seit dem EU-Beitritt um fast ein Viertel reduziert. Laut der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft beliefen sich diese im Jahr 1995 auf 2,74 Mrd. €. Derzeit sind es 1,9 Mrd. €. Und die Inflation? Seit dem EU-Beitritt beträgt diese etwa 50 Prozent! Das von Ministerin Köstinger und der Kurz-Truppe in „harten Verhandlungen“ ausverhandelte jährliche Plus von 0,4 Prozent für das Agrarbudget frisst die Inflation bereits zur Gänze auf. Dennoch wird dieses Ergebnis von der ÖVP und dem Bauernbund als großer Erfolg verkauft. Man stelle sich vor, wie beispielsweise die Metaller-Gewerkschaft auf ein vergleichbares Ergebnis reagiert hätte. Vermutlich hätte man die Verhandler davongejagt. LAbg. Ing. Franz Graf versucht wachzurütteln: „Eine ‚flächendeckende Landwirtschaft‘, wie sie von Köstinger hervorgehoben wird, gibt es auch im mittleren Westen der USA, mit Betriebsgrößen von zehntausenden Hektaren. Wir fordern politische Maßnahmen, die stattdessen eine strukturerhaltende Landwirtschaft sicherstellt und faire Preise für unsere hochwertigen Produkte, die es unseren Bauern ermöglichen, ihre Betriebe für die kommenden Generationen zu erhalten.“
Doch Industrie und Handel sind auf immer billigere Rohstoffe angewiesen, um ihre Kosten abzudecken und jährliche Gewinne einfahren zu können. Für die Landwirtschaft bleibt, was am Ende des Tages vom Kuchen übrig geblieben ist. „Anstatt für faire Erzeugerpreise zu kämpfen, verschwendet der Bauernbund, als mehrheitlich gewählte Standesvertretung, Zeit und redet sich die aktuelle Situation schön. Es stellt sich die Frage ob dieser von Industrie und Handel gekauft und zur Untätigkeit gezwungen wird, anstatt die Interessen der Bauern zu vertreten“, so Graf.
Laut dem Internationalen Währungsfonds sind zwischen Mai 2020 und April 2021 die Lebensmittelpreise um 25 Prozent gestiegen. Dass diese Preissteigerung bei den Landwirten eins zu eins angekommen ist, davon ist nicht auszugehen. Hingegen steigt die Marktspanne unaufhaltsam, die auch den Preis für Lebensmittel, den der Konsument bezahlen muss, nach oben treibt. Obwohl im vergangenen Jahr die Bedeutung der Versorgungssicherheit mit hochwertigen Lebensmitteln in Krisenzeiten sichtbar wurde, ist außer Dank und Anerkennung keine Trendumkehr der verfehlten Agrarpolitik erkennbar.
Nach wie vor kommt nur ein geringer Teil dessen, was die Verbraucher für Nahrungsmittel bezahlen, bei den Erzeugern an. „Die Differenz zwischen Verbraucherpreisen und zugehörigen Erzeugerpreisen ist bedeutsam für Marktakteure und Politik“, so das deutsche Thünen-Institut, das seit Jahrzehnten im Institut für Markanalyse die Dynamik dieser Marktspanne in Deutschland analysiert. Eine aktuelle Studie kommt zum Schluss, dass die Landwirte in Deutschland im Jahr 2019 nur 22 Prozent der Verbraucherausgaben für Lebensmittel erhielten, der Rest entfiel auf die Verarbeitung und Vermarktung. Der Anteil für die Erzeuger hat sich in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch reduziert. 1970 war dieser mit 46 Prozent mehr als doppelt so hoch.
Bei Brot und Getreideerzeugnissen hat sich der Anteil an den Verbraucherausgaben für die Landwirte am stärksten reduziert. Hier ist ein Rückgang von 79 Prozent von 1970 bis 2019 zu verzeichnen. Der Anteil bei Fleisch und Fleischerzeugnissen hat sich im selben Zeitraum um 50 Prozent reduziert, bei Eiern um 49 Prozent, bei Kartoffeln um 43 Prozent und bei Milch um 32 Prozent.